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27. Januar – Holocaustgedenktag – Geistlicher Impuls

    Am Holocaustgedenktag erinnern wir uns an die Opfer des Nationalsozialismus,  an Juden, Christen, Sinti und Roma, an Menschen mit Behinderung, denen jedes Lebensrecht verweigert wurde. Wir denken an Männer und Frauen des Widerstandes, an Homosexuelle, an Künstler und Wissenschaftler. Sie alle wurden Opfer des Regimes genauso wie viele Kriegsgefangene und Deserteure. Millionen Menschen, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entrechtet, verfolgt, gefoltert und getötet worden sind.

    Heuer erinnert der Deutsche Bundestag in seiner alljährlichen Gedenkstunde am 27. Januar besonders jenen Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden.

    Der Gedenktag ist 1996 durch den damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog eingeführt worden. Herzog wählte den 27. Januar, weil an einem 27. Januar, im Jahr 1945, Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des Konzentrationslagers Ausschwitz-Birkenau befreit haben.

    Roman Herzog  sagte damals: „Die Erinnerung darf nicht enden. Sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“

    Worte die für die ich voll und ganz bejahen kann. Aber es scheint nicht allen so zu gehen. Es ist nicht mehr zu übersehen, dass in Deutschland (und anderswo auch)  Formen der Judenfeindlichkeit zunehmen. Wie kann man nur die Taten der Nazis verharmlosen? Manche meinen, man soll die alten Geschichten endlich ruhen lassen und stattdessen Denkmäler für unsere Erfolge und Siege errichten. Ich finde solche Sätze unerträglich. Sie verhöhnen nicht nur die Opfer, sie weigern sich auch, aus der Geschichte zu lernen. „Das Vergessen verlängert das Exil, in der Erinnerung liegt das Geheimnis der Erlösung.” Das ist eine uralte Erfahrung des Volkes Israel.

    „Das Vergessen verlängert das Exil“. Einer, der sich dafür eingesetzt hat, dass wir das Geschehene nicht vergessen, war Elie Wiesel. Wiesel war ein rumänisch-US-amerikanischer Schriftsteller, Hochschullehrer und Publizist. Als Überlebender des Holocausts verfasste er zahlreiche Romane und sonstige Publikationen zu diesem Thema und erhielt 1986 gar den Friedensnobelpreis. Er erzählt wie er nach Auschwitz kam. Er hat nur einen Koffer bei sich, in dem sein Gebetsschal und Gebetsriemen, einige religiöse Bücher und diverse rituelle Gegenstände, sonst nichts. Elie war gerade 15 Jahre alt, als er an der berüchtigten Rampe von Auschwitz-Birkenau, kurz nach dem er den Zug verlassen hatte, seine Mutter und seine kleine Schwester zum letzten Mal sah. Natürlich wurde ihm auch der Koffer entrissen. Er klammerte sich an seinen Vater, der später im KZ Buchenwald starb. Elie Wiesel hat das KZ überlebt.

    Lange Zeit konnte er nicht über seine Erlebnisse sprechen. Er war der Hölle entkommen. Einer Hölle, die ihn stumm und sprachlos werden ließ. Aber mit den Worten kam auch das Leben in ihm zurück. Ihn beschäftigte die Frage, wie Gott all diese Grausamkeiten zulassen konnte. Elie Wiesel schildert, wie drei fromme Rabbiner beschlossen hatten, über Gott deswegen zu Gericht zu sitzen. Sie haben Gott nicht nur angeklagt, sondern schuldig gesprochen. Sie wollten nichts fromm übertünchen, wollten Gott nicht aus der Verantwortung entlassen, sondern mit ganzer Leidenschaft vor ihm ihr verwundetes Herz ausschütten. Offen und ehrlich, unverblümt und direkt. Wie es in diesen auch unzählige Ukrainerinnen und Ukrainer tun, in den Folterkellern und Gefängnissen.

    Warum soll man in solchen Situationen noch beten? Damit wir, und auch Gott!, nicht vergessen!!!! Den Bund nicht vergessen, den Gott und Menschen geschlossen haben.

    Darf man so mit Gott umgehen? Gehört sich so etwas? Elie Wiesel gibt eine Antwort, die auch einen Christen zutiefst berührt: Man kann Jude sein mit Gott, sogar gegen Gott, aber nicht ohne Gott. Worte die auch zum Christentum passen: Man Christ sein mit Gott, sogar an Gott zweifeln und verzweifeln, aber nicht ohne Gott.

    Wir sollten Gott immer wieder, auch um es selbst nicht zu vergessen, an seinen Namen erinnern. Denn mit dem hat er für alle Zeit/auf immer und ewig versprochen hat, dass er für uns Menschen da sein will. Wir dürfen nicht vergessen, denn das Vergessen verlängert das Exil.